De Ronde in 7 Wochen

Die letzten Minuten in Leipzig. Voller Erwartungen schaut Tom Gehler gen Norden. Freudig erregt und voller Respekt. Die ersten Kilometer nach Grimma dürfen ihn seine Freunde begleiten. Danach ist er zum ersten Mal allein mit sich und den bevorstehenden Zielen. Nur „Disko“, so heißt sein Rad, ist da. Von Leipzig aus geht es nach Danzig, Litauen, Estland, Lettland, Sankt Petersburg, Helsinki, Turku, einmal quer durch Schweden, nach Oslo, von Lindesnes durch Dänemark bis nach Hamburg und zurück nach Leipzig. Satte 5200 Kilometer im Sattel warten auf ihn. Die große Runde um die Ostsee. Vorbereitung ist alles. Das Gepäck ist sorgsam ausgewählt. Die Tracks liegen per GPS bereit. Nur das Bier ist in Polen schon leer. Es ist nicht Toms erste Tour auf dem Fahrrad, nur wird es diesmal vergleichsweise länger und intensiver. Eingefahren ist er, denn das Auto lässt er schon lange stehen und erledigt jeden seiner Wege mit dem Rad. Lass die Kette rasseln, Tom! 

Die ersten 100 Kilometer sind die schwierigsten auf Reisen, sagt man. Doch jeder einzelne Kilometer, den er zwischen sich und Leipzig bringt, motiviert ihn weiterzufahren. Je weiter er von seiner Heimat wegkommt, desto begeisterter ist er. Die Reise entsteht aus der Idee heraus, seinen langjährigen guten Freund Sami in Helsinki zu besuchen, und wächst mit dem Gedanken, einmal rund um die Ostsee über Sankt Petersburg zu fahren. Sami ist das erste große Ziel der Fahrt. „Die Sauna ist schon warm für dich, mein Freund“, schreibt er. Die erste Hälfte der Tour lässt sich für Tom in einem Satz zusammenfassen: „Ziemlich viel Schotter!“ Demotiviert? War er nie. Im Gegenteil. Kleine Tagesziele von bis zu 150 Kilometer retten seine Tour, anstatt viel zu viel an einem Tag zu wollen. „Am nächsten Tag geht es weiter. So habe ich das gemacht. Das ist einfacher. Ich hab von Tag zu Tag geplant.“ Die 200 Kilometer lange Fahrt nach Riga ist der erste große Höhepunkt, denn allein 40 Kilometer davon geht es nur über Waschbrettschotter. „Man weiß nie, was einen erwartet!“ Polen hingegen besticht abseits der sandigen Radwege durch eine traumhafte Landschaft mit tiefen Wäldern. „Es wird nicht geschoben. Wenn du nicht mehr fahren kannst, dann hältst du an“.

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Tom hat das große Ziel vor Augen: Helsinki. Mehr als zehn Jahre haben sich die beiden Freunde nicht gesehen und jetzt schließen sie sich in die Arme. Da kann eine Begrüßung schon mal emotional ausfallen. Mit einem großen Banner, auf dem „ZIEL“ steht, einem Blumenkranz, selbstgebranntem Likör und einem See direkt vor der Haustür wird Tom von Sami empfangen. Jetzt heißt es: Halbzeit, Rad basteln und Beine hoch. Bis zu den nächsten Fährüberfahrten genießt Tom die finnische Küche und etliche Saunagänge. Umso schwerer ist die Verabschiedung. Der Kopf ist voll mit Gedanken, die sich immer wieder im Kreis drehen. Eine Nachricht aus Leipzig verändert seine Reise oder auch nur ihn persönlich. Die viele Zeit zum Nachdenken wird die größte Herausforderung für Tom. Manchmal redet er auch mit sich selbst. Weiter! Immer weiter. Er nutzt die neu gewonnene Energie und powert sich in den Hügeln von Norwegen aus. Den Kopf frei kriegen. Die guten Erinnerungen bewahren. Zu den außergewöhnlichsten Erlebnissen gehört für Tom die Erinnerung an einen kleinen Fjord und die Anlegestelle zur Fähre. Nur wenige Sekunden entscheiden manchmal über den Ausgang einer Geschichte. Beinah hätte der Wind ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht und sein Rad in die Ostsee stürzen lassen. Doch er hat Glück. Jede Menge Glück. „Diese Geschichte hat mich noch eine ganze Weile begleitet!“

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Wie empfindet man nach über 5000 gefahrenen Kilometern die letzten Tage im Sattel? Heimweh, ja. Aber auch Erschöpfung. Ungewissheit. „Ich dachte, ich schaffe es nicht mehr!“ Das Gefühl beschreibt die letzten Kilometer. „Ich hatte den Drang anzukommen. Es war mein Wunsch, diese Reise zu machen. Ungestört Zeit für mich zu haben und schwerelos unterwegs zu sein.“ Am körperlich anstrengendsten Punkt in Norwegen spürt Tom genau dieses Gefühl: Jetzt bin ich auf dieser Reise, auf der ich sein wollte. Begrüßt einen da nicht die Schwermut zurück in Leipzig? „Ich weiß, was ich will und ich habe es für mich getan. Ich bin immer auf der Suche nach Herausforderungen und Wünschen, die ich mir erfüllen möchte, und habe dabei die Radreisen für mich entdeckt. Das nehme ich für mich nach diesem Abenteuer mit!“ Das erste kalte Bier in Leipzig schmeckt herrlich. Nur das Kribbeln in den Beinen wird er nicht los. Aber keine Sorge, Tom. Das nächste Ziel kommt. „Disko is very treu“ und an deiner Seite.

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RadreiseRobert Strehler